Aus meinem Karottenfahrerleben_Vol.1

 

Ob Sie das wohl interessieren könnte, frage ich mich gerade, was ich morgens so alles anstelle, bevor ich schließlich mit Ihrer grünen Kiste vor Ihrer Haustür stehe und Ihr Glück zumindest für diesen allzu kurzen Moment kaum größer sein könnte? Eine chronologisch-pedantische, minutiuöse Schilderung meines Tagewerks würde Sie gewiß nicht minder langweilen als mich, also – wohl eher nicht. Aber welche Details dann doch? Vielleicht, wie ich morgens in die Karotte komme und gleich als erstes versuche, meine Kennummer und mein Geburtsdatum in die elektronische Stechuhr einzutippen? Und wie mir dieses zickige Ding fast jedesmal mitteilt, die Eingabe sei nicht korrekt, grad so, als wüßte ich nicht, wann ich Geburtstag habe? Und wie ich mich dann zu durchaus grenzwertigen Schimpfereien hinreißen lasse? Dabei könnte ich auch ganz auf all´ dieses Getippe verzichten, indem ich einfach meine Fingerkuppe auf ein Fensterchen halte, wo dann mein vorher gespeicherter Fingerabdruck abgeglichen wird. Puppeneinfach! Aber nein, der Herr muß ja tippen, selber schuld! Wer weiß, warum, aber ich habe da so eine merkwürdige Hemmung, meinen Fingerabdruck preiszugeben. Albern, oder? Ich höre sie schon von Ferne spotten, die digital natives. Ich weiß auch nicht, welche Befürchtung da so durch meinen Kopf geistert. Vielleicht, daß irgendwo ein Jahrhundertverbrechen begangen wird, zum Beispiel ein ganzer Lidl einfach weggeklaut wird über Nacht, und als die Poilzei kommt, ist nur noch so ein bißchen zerbröseltes Fundament übrig und eine kaputte Neonröhre, und das Schlimmste: Die Diebe haben vorher im Internet meinen Fingeradruck gehackt – und ich wandere in den Bau, für nichts! Verstehen Sie, was ich meine? Abgesehen davon – ich würde doch im Leben keinen Lidl klauen, ich bitte Sie! Ein KaDeWe, ja, da könnte man drüber nachdenken, das halte ich mir offen. Falls mal ein Engpaß kommt. Jedenfalls scheint es mir allemal sicherer zu sein, ich behalte meinen Fingerabdruck hübsch für mich.

Schön, das alles, jedoch – ob Sie das interessiert, das mit der Stechuhr und meinen Ängsten? Oder wie ich manchmal ganz entgegen meinen wirtschaftlichen Interessen meinem Morgenkaffee Tribut zollen und richtiggehend gehetzt mal schnell wohin muß, wie man so sagt, noch vor der Stechuhr? Ja, wirklich! Eine heikle, sehr komplexe Situation widerstreitender Bedürfnisse, in der eigentlich ein kaltblütiges Abwägen gefragt wäre, denn jetzt ist jede Sekunde bares Geld. Doch in die Hose zu machen, ist definitiv keine Option. Wenn man das dann umrechnet, so eine Peinlichkeit, das geht irgendwie nicht auf. Es gibt allerdings Leute, die das sehr wohl machen, im Fernsehen. Die heiraten da mit allem Pipapo und heulen sich vor lauter Millionen Zuschauernn die Augen aus dem Kopf. Oder sie entschuldigen sich bei ihrer alten Tante in Buxtehude, weil sie mal fies zu ihr waren. Und die Kamera immer voll drauf, schön in Großaufnahme. Dafür gibt es doch Geld, ich meine – richtig viel Geld, oder? Das macht man doch nicht für ´n Appel und ´n Ei, geschweige denn – für umsonst womöglich? Na, am Ende will man gar nicht so tief hinab blicken in solch deprimierende Abgründe. Vielleicht lassen sie sich die Leute gleich wieder scheiden, sobald die Kamera aus ist? Das weiß man auch nicht. Oder sie hauen ihrer Tante, sobald sie ihr Fernsehgeld eingesteckt haben, direkt wieder so eine richtig gepfefferte Sauerei um die Ohren?

Aber – ist das jetzt das Richtige für Sie, fällt das in Ihr Interessensgebiet? Oder eher, wie ich mir den Schlüssel und das dazugehörige Handy für 'meinen' Lieferwagen von oben hole, zwischendurch den Baris bitte, den Tourenplan noch einmal durchlaufen zu lassen, weil irgendwie der Rechner hängt, und mir bei der Gelegenheit in der Küche ein leckeres Brot schmiere? Manchmal übrigens nur mit Butter und Salz. Das ist so eine alte Vorliebe von mir, frisches Brot mit Butter und Salz. Aber die Butter bitte nicht draufkratzen auf das Brot, das darf nämlich keinesfalls unter der Butter durchschimmern! Ein wirklich simpler und absolut zuverlässiger Trick: Brot zu sehen, Butter zu dünn. Manchmal kann das Leben so herrlich einfach sein! Salz kommt dann ganz nach Augenmaß und Gusto drauf. Und wie immer: Zuwenig ist irgendwie lau, zuviel ist auch nichts. Einmal habe ich mir aus Versehen Zucker draufgestreut. Das hat eine ganze Weile gedauert, bis mein armes Gehirn das dann einsortiert hat, das kann ich Ihnen wohl sagen! Mag ja sein, daß so ein Zuckerbrot sogar lecker ist, ich weiß es nicht, allerdings – nicht, wenn man etwas ganz anderes erwartet. Das ist überhaupt so eine Sache mit unseren Erwartungen: Je tüchtiger wir uns darin verbissen haben, desto schwieriger wird es, einigermaßen glimpflich aus der Sache herauszukommen, wenn es dann doch anders kommt als gedacht. Beim Salzbrot mit Zucker ist der Schaden ja noch überschaubar. Wenn wir uns aber zum Beispiel immer ein beschauliches Leben am grünen Stadtrand im eigenen Häuschen gewünscht haben (so einem hübschen alten aus Feldsteinen), es dafür aber nie hingelangt hat mit unserm Geld, und wenn wir erwartungsmäßig irgendwie nicht herauskommen aus dieser Häuschennummer – dann wird es schon schweriger. Um nicht zu sagen, richtig schwierig. Dann müssen wir sie loslassen, diese Häuschen-im-Grünen-Idee, diese hübsche, heimelige Erwartung an Fortgang und Formfindung unseres Seins. Sonst kann sie uns runterziehen. Weit runter. Aber keine Bange, da wollte ich jetzt eigentlich gar nicht hin. Und zur Peitsche auch nicht, die kam mir nämlich eben beim Zuckerbrot in den Sinn. Ihnen auch, stimmt´s? Doch – da könnte man was draus machen. Aber das lassen wir jetzt.

Wissen Sie was? Ich werde nochmal in mich gehen und überlegen, welches meiner zahllosen, schier unglaublichen, überaus erstaunlichen und geradezu wunderbaren Abenteuer ich Ihnen zu Ihrer Erbauung erzählen könnte. Für heute tut es mir leid – da muß ich Sie auf´s nächste Mal vertrösten. Und mit Ihnen hoffen, daß mir etwas einfallen möge…