Von Ohrenkneifern und Hühnern – bei Heiner und Andrea Schulte

von Benno Schlicht

Man lernt nie aus , ich sag´s Ihnen, und manchmal schließt sich ganz unerwartet hier oder dort ein Kreis. Diesmal bei Heiner Schulte. Das ist jener Obst- und Gemüsebauer, dessen feine Äpfel Sie bei der Karotte bestellen können. Der Reihe nach: Es kommt immer wieder vor, daß ich auf meinen Liefertouren zum Retter werden muß, wenn ich den ein oder anderen Ohrenkneifer zwischen den grünen Kisten entdecke und ihm in die Freiheit verhelfe, ihn in den meisten Fällen also ins nächstgelegene Blumenbeet entlasse. Meist sind die armen Kerle vollkommen unterkühlt und erst in der Wärme meiner Hand kehren ihre krabbleigen Lebensgeister mit Verve zu ihnen zurück. Und vielleicht bilde ich es mir nur ein, doch ich vermeine ihre unbändige Lebensfreude geradezu spüren zu können, wenn sie unhörbar leise jauchzend voller Tatendrang davonwuseln, ihren gewiß wunderbaren Entdeckungen entgegen… Und welcher Kreis schließt sich nun? Das sieht ja eher nach einer Strecke aus, ener Geraden. Ja, das stimmt, bis jetzt jedenfalls. Also zurück zu Heiner. Wir stehen auf seiner Apfelplantage zwischen all' den Bäumen. Und da kommt Göksel (einer unserer Lehrlinge, der, mit einem speziellen Sammelkorb behängt, das Apfelernten erprobt) und hält mir –ein wenig unsicher, was er davon halten soll– einen Apfel hin, in dessen Stielmulde ein Ohrenkneifer zugange ist. Und ehe ich ausführen kann, daß der gedeihliche Fortgang unseres Lebens durch diese Kreatur nicht wirklich akut bedroht ist, erklärt Heiner schon: 'Wenn die da sind, das ist ein gutes Zeichen. Dann braucht man sich wegen der Läuse nicht allzu viele Gedanken zu machen.'

Wie das? Na, weil die Ohrenkneifer die Läuse fressen, so einfach ist das. Und da schließt sich nun der Kreis hin zu meinen häufigen Begegnungen mit diesen Tierchen. Auf biologisch bewirtschafteten Höfen –und deren Produkte sind nun einmal das Kerngeschäft der Karotte– finden sie oftmals ein auskömmliches Dasein. Und das liegt wiederum daran, daß an solchen Orten weder ihre Leibspeise noch sie selbst vergiftet und zu Tode gespritzt werden. Uh, das klingt jetzt etwas harsch und ungemütlich – aber seien wir ehrlich: Genauso verhält es sich. Das genau ist eine der prekären Tragsäulen konventionell betriebenen Landbaus: Das Gift. Oder, genauer, im Plural: Die Gifte.

Und weil das so ist bei den Schultes, daß dieses unselige Zeugs bei Ihnen nicht auf´s Land gespritzt wird oder auf die Pflanzen, kommen auch sie schon angelaufen: Die Hühner. Denen geht es hier ähnlich wie den Ohrenkneifern: Sie finden hier reichlich zu scharren, zu picken und zu futtern, und sorgen so ganz nebenbei ebenfalls für eine absolut organische Schädlingsbekämpfung. Denn einiges, was sich so an Raupen und Engerlingen nach dem Verlassen des Kokons auf dem Boden oder in Bodennähe auf den Weg in Richtung der Äpfel macht, läuft allergrößte Gefahr, in diesem frevelhaften Tun jäh unterbrochen zu werden und in einem Hühnerschnabel sein schändliches Sein zu beschließen. Aber natürlich nicht alles, was kriecht und krabbelt und leben will! Nein, die Natur läßt immer von allem etwas übrig, das sich entwickeln kann und Nischen besiedeln. Die Natur rottet nicht aus. Nein, das tun wir, und unsere Methoden sind vielfältig, denken Sie nur an die Sache mit den Giften…

Wenn Sie mal dort wären, vielleicht an einem der Tage, an denen der Hofladen geöffnet hat (einfach 'Schulte´s Hof' googeln und Sie sind im Bilde), und sich den Weg beschreiben ließen zu den Obstfeldern – dann könnten Sie dort beobachten, wie lebendig es zwischen und unter den Bäumen zugeht. Und sie könnten sehen, in welch guter Verfassung die Hühner sind, wie tadellos ihr Federkleid ist. Und wie wenig scheu diese Vögel sind. Nicht, daß sie sich hundegleich streicheln ließen. Aber sie bewegen sich zwischen den Menschen doch ganz arglos und ohne hastige Scheu. Auch dies ein Zeichen dafür, daß es ihnen an schlechten Erfahrungen mit Menschen mangelt und sie daher nicht mißtrauisch und ängstlich werden ließ. Nein, diese Hühner sind lebendig, wach und neugierig. Und das wird man ihren Eiern, die es natürlich auch im Hofladen gibt, nicht nur ansehen, man wird es vor allem schmecken. Denn der Heiner füttert nur mit gutem Futter zu, mit –sie haben´s erraten!– Biofutter, klar.

Muß ich abschließend noch extra erwähnen, daß der Heiner (und mit ihm seine Frau Andrea) einer dieser Sieben-Tage-die-Woche-Selbstausbeuter ist? Doch trotzdem ist die Atmosphäre auf dem Hof entspannt, aufmerksam, von herzlicher Freundlichkeit durchwoben; und auch hier bei den Schultes offenkundig von Liebe geprägt zu dem, was getan wird, getan werden muß. Und weil das so ist und sich die Sachen nicht von selbst eredigen und man den Leuten nicht immerzu im Weg stehen soll – schnell noch ein Schlußbild geschossen, bitte recht freundlich!, und ab durch die Mitte…